Habt’s ihr keine anderen Sorgen? Warum wir uns mit nicht diskriminierender Sprache auseinandersetzen
Die Wogen gehen hoch, wenn es ums Gendern geht. Dass Winnetou plötzlich kein Indianer mehr sein darf, erregt den Volkszorn. Und dann beschweren sich die Ausländer noch, wenn man sie als Flüchtlinge bezeichnet!
Tatsächlich eignen sich diese Themen, um das „gesunde Volksempfinden“ gegen die „woke Blase“ aufzuhetzen – was sich in Politikverdrossenheit und Wahlergebnissen niederschlägt. Ist das wirklich die Aufregung wert? Sind die „Sprachpolizist_innen“ nicht zu weit gegangen?
Die Haltung des Dialog zu diesen Fragen findet sich in den Werten, die sich wiederum in Standards niederschlagen: Wir stehen zu einer reflektierten, sensiblen Sprache. Abseits von tagespolitischen Debatten fand die Auseinandersetzung damit auf einer anderen Ebene statt: nicht ob, sondern wie wir zu einer nicht diskriminierenden Sprache finden, beschäftigt uns – und erhielt 2024 einen neuen Antrieb.
Ihren Ausgang nahm die Diskussion durch die Unsicherheit mit Non-Binarität. Was darf gesagt werden? Welche Bezeichnungen sind akzeptabel? Dahinter standen jedoch viel Unwissen und inhaltliche Vermischungen, zum Teil auch (generationsbedingte) Auffassungsunterschiede. Durch Inputs und Diskussionen in den Teams konnte Entspannung erreicht werden: Wichtiger als über Menschen zu reden, ist mit ihnen zu reden und so auch zu Bezeichnungen zu kommen, die für die jeweilige Person passen.
Darüber hinaus wurden jedoch auch für andere Bereiche Vorschläge für eine nicht diskriminierende Sprache zusammengetragen. Zum Teil ging es um wissenschaftliche Trends (etwa Opioidagonistentherapie statt Substitution), zum Teil um die Reflexion von Worten aus der Alltagssprache. „Flüchtlingswellen“ suggerieren zerstörerische Naturgewalten, „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ impliziert, dass alle andere keine hätten. So entstand ein Helpsheet mit anerkannten Bezeichnungen für unterschiedliche Gruppen und Sachverhalte.
Ist das nicht Zeitverschwendung? Wir sehen das nicht so. Wir arbeiten mit Menschen, die Traumata erlebt haben, die stigmatisiert werden und die sich oftmals selbst abwerten. Um diese Faktoren, die eine Suchterkrankung fördern, zu überwinden, ist unter anderem ein neues Selbstbild notwendig, das sich auch über Sprache vermittelt. Klient_innen wurden nicht nur lange als „Junkies“, also als Müll, bezeichnet, sondern in der Öffentlichkeit auch so dargestellt. Der Schritt zur Selbstdefinition ist ein kleiner.
Ein wertschätzender Umgang beginnt mit einer wertschätzenden Sprache. Dabei geht es nicht darum, immer alles richtig zu machen, sondern im Austausch zu bleiben, mit Menschen Bezeichnungen zu finden, die ihnen gerecht werden, und ihnen so das Gefühl zu vermitteln, wahr- und ernstgenommen zu werden.
Es freut uns, dass das Thema auch bei der Tagung des Instituts für Suchtprävention der Sucht- und Drogenkoordination Wien für Betriebe im November 2024 Platz fand: Vorstandsmitglied Gerda Müller, Vizerektorin der Universität für Musik und Darstellende Kunst, und Martin Weber, Gender- und Diversity-Beauftragter des Dialog, gestalteten gemeinsam einen Workshop zur Bedeutung sprachlicher und praktischer Sensibilität gegenüber unterschiedlichen Mitarbeiter_innen, Kund_innen und anderen Interessensgruppen auch im Sinne der Suchtprävention.
Sprache bildet Wirklichkeit ab. Mit Sprache lässt sich manchmal auch Wirklichkeit verändern. Jedenfalls aber kann man Menschen mit bewusster Sprache ihre Würde zurückgeben.
