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Leitkultur Alkohol

Gerade wird auf politischer Ebene intensiv über den Begriff Leitkultur diskutiert. Bei der Frage, was unsere Kultur von anderen unterscheidet, wurde der Umgang mit Alkohol jedoch bisher ausgespart. Dabei beobachten wir, dass Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund gerade diesem Thema oft mit viel Unverständnis begegnen. Für uns ist das Grund genug, in Schulungen zum Thema Alkohol nicht nur den eigenen Konsum zu reflektieren, sondern auch den bei uns üblichen, denn Nicht-Konsument_innen stoßen hier oft auf Barrieren im österreichischen Alltag.

Alkoholkonsum hat in Europa und damit in Österreich eine lange Tradition. In einem christlich geprägten Land spielt Alkohol im kirchlich-religiösen Kontext eine große Rolle. So sind Feste von jeher stark mit dem Konsum von Alkohol verbunden. Die sich daraus ergebende Feierkultur geht auf jahrhundertealte Traditionen zurück, die nicht nur Anlässe definiert (Ende der Fastenzeit, Hochzeiten etc.) sondern auch Rituale. Das Anstoßen etwa diente im Mittelalter dazu, Alkohol von einem Becher zum anderen überschwappen zu lassen und so einem Giftanschlag vorzubeugen. Auch wenn diese Angst heute kaum mehr verbreitet sein dürfte, hat sich die Tradition gehalten: Wir stoßen gerne und oft auf Geburtstage, Beförderungen oder andere besondere Ereignisse an.

Doch auch ohne Anlass hat Alkohol seinen fixen Platz in unserem Alltag. Ob in Gaststätten, die nach dem Getränk benannt sind (Cocktailbar, Heuriger), ob im politisch genutzten Bierzelt – Gemütlichkeit und Geselligkeit werden mit dem Konsum verbunden. Der Stammtisch bietet Platz für Gleichgesinnte, dass hier Runden gezahlt werden, versteht sich ebenso von selbst wie das Fluchtachterl oder der Absacker vorm Aufbruch. Vor Weihnachten wird das Kaffeehaus vom Punschstand abgelöst, Wintersport beinhaltet „Après-Ski“, zu dem auch eine bestimmte österreichische Musik“kultur“ gehört, Weinfeste werden von der Winzerkönigin eröffnet. All das ist natürlich auch wirtschaftlich bedeutend: Österreich verfügt etwa über bedeutende Weinbaugebiete, die auch entsprechend vermarktet werden. 

Grund genug also, Alkohol zu verherrlichen und zu verharmlosen. Der Mythos von der Trinkfestigkeit des Verhandlungsteams des österreichischen Staatsvertrags („die Russen unter den Tisch saufen“) hält sich bis heute. Kein Wunder, dass daher in der Populärkultur der Wein gerne und oft besungen wird. Hans Moser wäre gerne eine Reblaus, Hermann Leopoldi fühlt sich in den stillen Zecher hinein und andere möchten wieder einmal in Grinzing sein. Große Autor_innen haben die Scheinheiligkeit hinter der Weinseligkeit gnadenlos aufgedeckt, man denke nur an Ödön von Horvaths „Geschichten aus dem Wienerwald“, dennoch gilt es fast als Beleidigung, wenn man dieses Kulturgut allzu kritisch hinterfragt: Rasch gilt man als Spaßbremse und Moralapostel und Abstinenz wird nicht selten als eigentliches Problem gesehen: Wer nicht trinkt und keinen guten Grund dafür hat (Schwangerschaft, Führerschein), gerät rasch in Verdacht, einmal „ein Problem gehabt zu haben“.

Hat sich in den letzten Jahren nichts geändert? Natürlich ist auch der Alkoholkonsum Trends unterworfen, dennoch bleibt die prinzipielle Verankerung in unserer Kultur bestehen. Beobachten lassen sich jedoch einige Veränderung als Reaktion auf ein gestiegenes Problembewusstsein: Der Probeführerschein etwa sorgt bei jungen Lenker_innen für eine höhere Sensibilität – und fördert, dass beim Ausgehen zumindest eine Person nüchtern bleibt

Wünschenswert wäre jedoch, wenn das Thema Alkohol in den Diskussionen um die Leitkultur Platz fände. Ehrlicherweise müsste man wohl auf einen Konsum bestehen, wenn Menschen „dazugehören“ wollen. Förderlicher wäre es jedoch, sich auch auf dieser Ebene kritisch mit der Selbstverständlichkeit des Trinkens auseinanderzusetzen. Ob dazu Bereitschaft besteht, bleibt zu bezweifeln. Und so erscheint ein anderes Wienerlied plausibler: Es wird ein Wein sein und wir werden nimmer sein.