Hinschauen als Leitungsaufgabe - Früherkennung im Betrieb
Muss eine Mitarbeiter_in betrunken zum Dienst erscheinen, damit die Führungskraft aktiv werden kann? Keineswegs, denn es gibt viele Anzeichen, die auf eine mögliche Suchterkrankung oder einen problematischen Konsum hinweisen. Doch die Angst, mit dem Verdacht falsch zu liegen, lässt viele Personalverantwortliche zögern und abwarten – oft mit gravierenden Folgen für den Betrieb, aber auch für die betreffende Person.
In unseren Schulungen ermutigen wir daher Führungskräfte, frühzeitig zu intervenieren, wenn Verdachtsmomente vorliegen. Dabei muss man klar zwischen einer akuten Beeinträchtigung und einer möglichen Suchterkrankung unterscheiden. Ein einmaliger entgleister Konsum am Arbeitsplatz kann, muss aber nicht auf eine Abhängigkeit hinweisen. Viel häufiger jedoch erscheint eine suchtkranke Mitarbeiter_in nie beeinträchtigt am Arbeitsplatz, weil sie bemüht ist, den Konsum geheim zu halten. Trotzdem aber gibt es Signale, die ins Kalkül gezogen werden.
Zu diesen möglichen Indikatoren zählen Veränderungen im Arbeits- und Sozialverhalten, die nicht erklärbar erscheinen. Mitarbeiter_innen, die zum Beispiel immer verlässlich waren, kommen plötzlich öfter zu spät, erledigen Aufgaben nicht mehr im selben Maß oder sondern sich vom restlichen Team ab. Sinkende Arbeitsleistung und Konflikte können die Folge sein. Auffälligkeiten kann es auch in der Anwesenheit geben. So häufen sich einzelne Krankenstandstage, oft Montage, die Krankmeldung erfolgt zu spät oder durch eine andere Person. Immer wieder verschwinden betreffende Personen vom Arbeitsplatz, sind unauffindbar oder kehren nach der Pause verändert zurück. Äußerliche Veränderungen bis hin zur Verwahrlosung bieten ebenso einen Grund, das Gespräch zu suchen, wie Geldprobleme. Wenn gar Depots an Alkohol oder anderen Suchtmitteln gefunden werden, ist es jedenfalls Zeit, sich des Themas anzunehmen.
Am häufigsten jedoch lassen sich Veränderungen im Team bemerken. Kolleg_innen erkennen viel früher als Vorgesetzte, dass „etwas nicht stimmt“, um die betreffende Person zu schützen, werden jedoch kontraproduktive Aktionen gesetzt. Arbeit wird übernommen, Ausreden für die Kolleg_in gefunden und erst wenn die eigene Belastung zu groß wird, kommt es im besten Fall zur Information der Führungskraft.
Wie lange also soll man als Vorgesetzte warten, können doch viele der genannten Beobachtungen unterschiedliche Gründe haben? Gar nicht. Die Angst, jemanden fälschlicherweise zu beschuldigen, ist fast immer unberechtigt. Zudem empfiehlt es sich, beim ersten Ansprechen einfach nur die eigenen Beobachtungen mitzuteilen. So gibt man der Mitarbeiter_in die Möglichkeit, sich zu erklären. Sollte aber eine Suchterkrankung Auslöser sein, so agiert man nicht nur im Sinne des Arbeitnehmer_innenschutzgesetzes („Fürsorgepflicht), der Arbeitssicherheit und des Teams, sondern auch im Sinne der Mitarbeiter_in. Auch wenn diese im ersten Moment wenig Dankbarkeit empfinden wird, wird ihr so der Weg zu professioneller Hilfe geebnet. Am Arbeitsplatz auf den Konsum angesprochen zu werden, zählt zu den höchsten Motivatoren, sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen. Am Ende betrieblicher Früherkennung stehen somit nur Gewinner_innen.
In unseren Führungskräfteschulungen ermutigen wir die Teilnehmer_innen Auffälligkeiten ernst zu nehmen, adäquate Schritte zu setzen und trainieren mit ihnen das Ansprechen einer möglichen Suchtproblematik.
