Wozu Suchtprävention?
Sind die Betriebe jetzt schon für alles verantwortlich, auch dafür, was die Mitarbeiter_innen konsumieren? Diese Frage hat durchaus ihre Berechtigung. Umso wichtiger ist es, die Grenzen der Fürsorgepflicht von Vorgesetzten zu definieren, gleichzeitig aber auch auf ihre Verantwortung hinzuweisen. Und auch Überlegungen dazu, was es einem Betrieb bringt, sich des heiklen Themas anzunehmen, müssen erlaubt sein.
Menschen konsumieren. Sie konsumieren unter anderem Alkoholn und/oder andere psychoaktive Substanzen. Ob sie sich dadurch einem erhöhten Unfallrisiko, sozialen Problemen oder rechtlicher Verfolgung aussetzen, liegt in ihrem Ermessen, das eingeschränkt wird, wenn sich eine Sucht entwickelt.
Zum Konsum von Alkohol und anderen Substanzen gibt es in Bezug auf den Arbeitsplatz klare Regelungen (siehe auch Artikel dazu). Diese können gesetzlich festgeschrieben oder innerbetrieblich vereinbart sein. Das Vorgehen bei Verstößen variiert je nach Betrieb, aber auch je nachdem, ob es sich um ein Fehlverhalten (z.B. Konsum am Arbeitsplatz) oder um eine Suchterkrankung handelt. In beiden Fällen jedoch geht es um arbeitsrelevante Themen wie Sicherheit, Fremd- und Selbstgefährdung und Gesundheitsförderung. Der Betrieb, konkret die Führungskräfte, müssen also reagieren, wenn sich eine Beeinträchtigung oder eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zeigt.
So weit so klar. Wir kennen jedoch gerade bei diesem Thema eine zweite Realität: Das Alkoholproblem eines Mitarbeiters ist schon lange bekannt, aber da er in drei Jahren in Pension geht und sehr beliebt ist, will man ihm keine Probleme machen. Eine Mitarbeiterin konsumiert wegen allgemein bekannter privater Krisen Medikamente, die ihre Arbeitsfähigkeit einschränken, aber man möchte ihre Situation nicht weiter verschlechtern. Eine Führungskraft übernimmt ein Team, in dem eine lang gewachsene Trinkkultur kaum aufzubrechen ist. Kolleg_innen decken eine konsumierende Person, sodass die Führungskraft zwar einen Verdacht, aber nie den Beweis für einen problematischen Konsum hat.
All diese Beispiele, und es sind bei weitem keine Einzelfälle, zeigen, wie wichtig ein offener Umgang mit dem Thema Suchtmittel im Arbeitskontext ist: Suchtprävention beginnt bei der Enttabuisierung der Themen Konsum und Sucht. Nur wenn offen ausgesprochen werden kann, was eigentlich nicht sein darf, können weitere Maßnahmen folgen.
Stufenpläne oder Interventionsketten helfen nicht nur Führungskräften, ihren Pflichten nachzukommen, sondern machen deutlich, was Mitarbeiter_innen zu erwarten haben, wenn sie ein Problem mit Suchtmitteln haben. Das gibt nicht nur ihnen die Möglichkeit zu einer Veränderung, sondern ermutigt auch Kolleg_innen, Schritte zu setzen, um den Betreffenden zu unterstützen. Das führt zu einem allgemein kompetenteren Umgang mit dem schwierigen Thema und letztendlich zu einer besseren Team- und Unternehmenskultur.
Warum stehen diese Argumente am Anfang der Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Suchtprävention und nicht die bekannten Fakten zu geringerem Unfallrisiko, sinkender Leistung und mehr Fehlzeiten? Unsere Arbeit mit Betrieben zeigt, dass die Sorge um Mitarbeiter_innen weit verbreitet ist. Während jedoch in anderen schwierigen Situationen die Unterstützung des Betriebs gerne angenommen wird, verhält es sich bei Sucht anders. Das verunsichert alle Beteiligten, insbesondere Führungskräfte, die jedoch stark gefordert sind. Viele Betriebe melden sich dann, wenn die Situation bereits sehr verfahren ist oder eskaliert. Das bedeutet eine hohe Belastung für die Leitenden, die Kolleg_innen und andere Involvierte – und letztendlich wenig sinnvolle Unterstützung für die konsumierende Person.
Deshalb macht es Sinn, mit dem Thema offen umzugehen und ein Vorgehen für den Anlassfall zu entwickeln. Transparenz, Klarheit und eine gemeinsame Haltung sind gerade beim Thema Sucht Voraussetzungen für ein Vorgehen, das allen Beteiligten hilft: dem Betrieb, um Kosten und immaterielle Risiken zu minimieren, den Führungskräften und Schlüsselpersonen, um ihren Aufgaben professionell nachgehen zu können, und den konsumierenden Mitarbeiter_innen, die auf diesem Weg motiviert werden können, eine Betreuung in Anspruch zu nehmen. Suchtprävention macht also auf vielen Ebenen Sinn.
