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Wenn nur das Suchtmittel weg ist... von der Notwendigkeit von Vor- und Nachbetreuung

Die Welt scheint manchmal ganz einfach zu sein: Ein Suchtmittel wird abgesetzt, der gefürchtete körperliche Entzug durchgestanden, dann sind alle Probleme gelöst. Diese Phantasie gibt es nicht nur bei Konsumierenden und Angehörigen, sondern auch in der breiten Bevölkerung. Doch leider ist die Sache – wie die Welt meistens – nicht ganz so einfach.

Menschen konsumieren Suchtmittel oft nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie entweder unangenehme Gefühle loswerden oder angenehme Gefühle erzeugen wollen. Die Konsummotivation spielt eine entscheidende Rolle dabei, ob aus einem gelegentlichen Konsum ein regelmäßiger und schließlich eine Suchterkrankung wird. Im multifaktoriellen Ursachenmodell wird im persönlichen Bereich besonders auf die individuellen Ressourcen und das soziale Umfeld Bezug genommen. Liegen etwa psychische Erkrankungen vor, welche Möglichkeiten der Krisenbewältigung stehen der Person zur Verfügung, gibt es unterstützende Menschen im Umfeld, welche Erfahrungen mit Gewalt wurden gemacht? All diese Faktoren haben Einfluss auf das problematische Konsumverhalten. Oft ersetzt die Substanz fehlende Ressourcen oder hilft dabei, Traumata oder belastende Situationen auszuhalten.

Die Substanz wegzulassen, bedeutet somit, auf eine als hilfreich erlebte Ressource zu verzichten. Oft erleben Klient_innen zwar die massiven negativen Konsequenzen eines (längerfristigen) Konsums, doch braucht es eine Vorbereitung darauf, was passiert, wenn diese aus dem Alltag verschwindet. Entzug ist daher nicht ein Ereignis, sondern ein Prozess, den es zu begleiten gilt. Denn es ist wie bei anderen Erkrankungen: Symptome kann man rasch heilen, doch gilt es, deren Ursachen zu beheben. All das passiert in der Vor- und Nachbetreuung zu einer stationären Therapie.

In der Vorbetreuung wird nicht nur die Motivation der Klient_in überprüft, sondern auch konkrete Fragen zur Therapie beantwortet. Auch Ängste werden thematisiert, sowohl was den Aufenthalt betrifft als auch die angestrebte Nüchternheit, die in vielen Fällen ambivalente Gefühle auslöst. Dazu kommt die Frage, wie realistisch ein Leben ohne die Substanz ist bzw. was es braucht, um ein solches führen zu können. Oft müssen klare Bilder entworfen werden: Wie kann der abstinente Alltag strukturiert werden? Wie können Kontakte zu konsumierenden Personen zukünftig gestaltet werden? Aber auch: Welche (un)realistischen Erwartungen sind mit der Abstinenz verknüpft? Auf welche angenehmen Situationen, die mit Substanzkonsum verbunden sind, muss verzichtet werden? Welche Rituale fallen weg? Auch eine Einstellung auf Medikamente bei psychischen Erkrankungen kann im Vorfeld einer stationären Therapie erfolgen. Ziel ist es jedenfalls, die Kllient_in auf einen neuen Zustand vorzubereiten. Denn danach wartet nicht ein sonniges, problemfreies Leben, sondern in den meisten Fällen Krisen und Herausforderungen, die eben ohne Substanz gemeistert werden müssen.

Während der stationären Therapie wird natürlich an diesen Themen weitergearbeitet. Die Nachbetreuung bietet dann die Möglichkeit, Unterstützung bei der Umsetzung der Vorsätze zu erhalten. Zudem braucht es häufig Zuspruch, um die Motivation, abstinent zu bleiben, aufrechtzuerhalten. Viele Klient_innen erleben die Nachbetreuung auch als Sicherheitsnetz auf dem Weg in eine plötzlich anders erlebte Welt: Rückfallsprophylaxe ist ein wichtiges Thema, aber auch der Umgang mit Vorfällen, in denen wieder konsumiert wird. 

Vor- und Nachbetreuung kommt damit ein wichtiger Stellenwert zu. Leider ist Abhängigkeit keine Erkrankung, die mit einer Kurzintervention beendet werden kann. Aber mit Unterstützung kann das Ziel einer neuen Lebensqualität in vielen Fällen erreicht werden.