Angehörigenberatung zu problematischer Internetnutzung – Zwischen ausgeprägten Verhaltenssüchten und Generationenkonflikten
Seit mehr als einem Jahrzehnt bietet der Dialog Angehörigenberatung nicht nur zu Fragen und Belastungen durch Substanzgebrauchsstörungen im eigenen Umfeld an, sondern auch zu Internetnutzungsproblematiken. Während sich in den Jahren 2023 und 2024 Eltern, Partner_innen Söhne, Töchter, Großeltern und befreundete Personen zum Thema Suchtmittelkonsum in der Suchtprävention und Früherkennung des Dialog beraten ließen, sah es bei den Internetnutzungsproblematiken anders aus. Zu diesem Thema nahmen ausschließlich Eltern und Erziehungsberechtigte von Kindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen unser Angebot in Anspruch.
Dieses Übergewicht bei den Eltern und Erziehungsberechtigten und deren oft große Besorgtheit spiegeln vermutlich verschiedene Aspekte des gesamten öffentlichen Diskurses um die „Gefahren des Internets“ wider.
Einerseits gibt es mittlerweile gute Belege dafür, dass problematische Internetnutzung weltweit ein sehr relevantes Gesundheitsproblem geworden ist.[1], [2] Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene scheinen außerdem besonders davon betroffen zu sein.[3], [4]
Auch scheint die öffentliche Diskussion zu den Risiken des Internets mit Begriffen wie „Internetsucht“, „Smartphonesucht“, „Social-Media-Sucht“, „Gaming-Sucht“ (ja was denn eigentlich nun?) viele Eltern und Erziehungsberechtige verständlicherweise zu verunsichern. Passend dazu findet man eine große Bandbreite an Zahlen in Ratgebern und Forschungspublíkationen, die versuchen, das Ausmaß der Probleme hinter diesen Begriffen zu beziffern. Ein Mindestmaß an Klarheit lässt sich eventuell durch Folgendes herstellen: In der Forschungsliteratur herrscht weitgehend Konsens darüber, dass meist spezifische Onlineanwendungen wie soziale Medien, Gaming, Pornographie oder Online-Glücksspiel suchtähnliche Mechanismen auslösen, nicht jedoch das Internet oder das Smartphone als Ganzes.[5] Innerhalb dieser Anwendungsbereiche dürften außerdem die meisten jungen Menschen von problematischer Social-Media-Nutzung betroffen sein.2, 4
Neben diesen beiden Aspekten tritt häufig außerdem ein klassischer Generationenkonflikt auf. Während die jungen Nutzer_innen ihre Aktivitäten oft als Teil ihres sozialen Lebens betrachten, erleben Eltern die digitalen Präferenzen ihrer Kinder als Entfremdung oder Kontrollverlust. Viele Eltern fühlen sich in der digitalen Welt ihrer Kinder entweder unsicher oder haben wenig Interesse daran zu erfahren, warum ihre Kinder gerade auf „Brawlstars“ oder „Tiktok“ abfahren. Dabei ist die Frage nach dem „Warum?“ hinter der Internetnutzung zentral und oft wichtiger als die nach dem „Wie lange?“. Denn ein übermäßiger Gebrauch von Internetanwendungen kann in manchen Lebensphasen auch als kurzfristige Bewältigungsstrategie dienen, etwa bei Entwicklungsherausforderungen oder außergewöhnlichen Umständen wie den Kontaktbeschränkungen während der Pandemie. In solchen Situationen ist die Onlinewelt oft die einzige Möglichkeit, soziale Verbindungen aufrechtzuerhalten. Daher kann ein vorübergehend unangemessener Umgang mit Internetanwendungen unter bestimmten Bedingungen sogar eine hilfreiche Funktion erfüllen.
Letztendlich vermischen sich die genannten Aspekte in der Beratung häufig miteinander und es wird deutlich, wie schwierig die Aufgabe ist, den Übergang von noch unproblematischem zu problematischem Nutzungsverhalten zu erkennen. Wir als Dialog stehen Ihnen dabei, egal ob Sie Angehörige oder Nutzer_in sind, auch in Zukunft gerne beratend zur Seite. Konkrete Tipps für den Umgang mit digitalen Medien über die Weihnachtsfeiertage finden Sie in einem weiteren Artikel dieses Newsletters.
[1] https://doi.org/10.1016/j.addbeh.2021.107183
[2] https://doi.org/10.1016/j.addbeh.2021.106845
[3] https://jasmin.goeg.at/id/eprint/1881
[4] https://www.vivid.at/wp-content/uploads/2023/03/Suchtassoziierte-Internetnutzung-Steiermark_2023.pdf
[5] http://dx.doi.org/10.5772/66966